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Tickets sichern: Kruzifünferl! Oder Fluchen ist ein Stück Lebenskraft

Dr. Rolf-Bernhard Essig © Bert Bostelmann

Am Samstag, 2. November kommt Rolf-Bernhard Essig zur Pfaffenhofener Lesebühne in den Festsaal des Rathauses und nimmt das Publikum in seiner interaktiven Lesung mit in die Welt des Fluchens und Schimpfens. Jetzt noch Tickets sichern unter pfaffenhofen.de/lesebuehne.

Interview mit Herrn Dr. Rolf-Bernhard EssigRolf-Bernhard Essig, Dr. phil., ist Autor und Entertainer. 2024 erschienen der Ratgeber „Dr. Essigs Sprichwort-Apotheke“ und das Kinderbuch „Da lachen ja die Hühner!“ Er ist Kurator der Ausstellung „Potz! Blitz! Vom Fluch des Pharao bis zur Hate Speech“ im Museum für Kommunikation Nürnberg.

Was fasziniert Sie persönlich am Phänomen des Fluchens bzw. warum lohnt es sich, das Fluchen genauer zu betrachten und darüber zu forschen?

Also erstens war mein Vater ein guter Flucher, denn er war eine ganze Zeit lange Seemann. Dann bin ich als gebürtiger Hamburger ins oberfränkische Dorf Burghaig gekommen und das war dann so ein „Clash of Civilisations“, also man schimpfte dort ganz anders, als ich das gewohnt war. Und dann kommt noch dazu, dass ich als Germanist und Historiker immer wieder damit zu tun hatte. Vielleicht das Wichtigste: Ich bin selbst ein schlechter Flucher und wollte mehr darüber erfahren.

Wieso denken Sie, dass Sie ein „schlechter Flucher“ sind?

Ach, ich sage immer dasselbe. Scheiße, Mist, Dreck, Arschloch – also das, was jeder sagt und da ist natürlich so viel mehr möglich. Es ist ja auch nicht selten so, dass das, was man gerade nicht kann, einen besonders interessiert.

Gibt es bestimmte (bairische) historische Flüche oder Schimpfwörter, die heute kaum noch verwendet werden?

„Bey des Frohnleichnams Blut und Fleisch, Bauch, Kopf und Schopf! Du Höllen-Heulhur, Matzpumpes, Hosenhuster!“ Da merkt man schon, das ist jetzt 500 Jahre alt und gar nicht so weit weg vom Dialekt-Fluchen. Gerade im Bairischen, teils auch im Fränkischen ist das natürlich eine ganz andere Geschichte. Da wird sehr gerne noch mit „Sakrament“ und „Sakradi“ und was noch alles dazu gehört, geflucht.

Wie es in ihrer Nürnberger Ausstellung „Potz! Blitz!“ beschrieben wird, „gibt es Kraftausdrücke, seit es die Sprache gibt in allen Kulturen der Welt“ – wie hat sich das Fluchen im Laufe der Zeit entwickelt?

Kurz gesagt hat es sich aus der religiösen, magischen Sphäre heraus entwickelt. Deswegen sprechen wir überhaupt vom Fluchen, weil dahintersteht: „Jemandem verfluchen“. Dafür nahm man sehr starke Worte, man spricht ja auch von Kraftausdrücken. Besonders geeignet war fürs Schimpfen, alles was die Gesellschaft für „tabu“ hält. So kamen die körperlichen Ausscheidungen dazu, also „Verpiss dich“, „Du Arsch“ und „Was hast du für einen Scheiß angestellt?“ Ebenso alles Sexuelle, beispielsweise „Fuck off“. Aber es gibt auch viele weitere Tabu-Begriffe und -Bereiche.

In Ihrer Nürnberger Ausstellung „Potz! Blitz!“ gehen Sie auch auf Fluchverbote ein – was hat es damit auf sich?

Seit es das Fluchen gibt, gibt es Fluchverbote. Der älteste Fluch, den wir in der Nürnberger Ausstellung zeigen, ist über 4.000 Jahre alt. Ziemlich gleichzeitig beginnen auch die Fluchverbote. In der Bibel heißt es ja auch schon „Du sollst nicht fluchen.“ Aber was macht Gott, als er uns aus dem Paradies vertreibt? Er flucht. Und so geht das die ganze Kulturgeschichte weiter.

Man hat es auch strafrechtlich versucht. Die Herzöge von Württemberg haben im 16. Jahrhundert sogenannte Fluchkassen und Schwörbüchsen in Kneipen und Wirtschaften aufstellen lassen. Wenn jemand einen Fluch äußerte, musste er einen Groschen in diese Schwörbüchse tun. Das Problem: 50, 100, 200 Jahre später kamen immer wieder erneute Anordnungen, dass man solche Büchsen aufstellen müsste – es hat einfach nicht funktioniert. Andere Versuche waren teils sehr drastisch, also z. B. Zunge herausschneiden, Hinrichtungen und Ähnliches. Bis heute gibt es in den USA hohe Geldstrafen, wenn in TV-Sendern bestimmte Wörter zu bestimmten Sendezeiten fallen. Ohne Erfolg.

Mit Fluchen können wir unsere Emotionen ausdrücken, egal ob positiv oder negativ, aber welche psychologische Funktion hat das Fluchen für uns Menschen?

Fluchen, Kraftausdrücke, Schimpfen, das ist alles hoch emotional, ist mit dem limbischen System und den Basalganglien im Hirn verbunden, und deshalb kann es in vielfacher Weise eingesetzt werden. Nehmen wir den Bereich der Sexualität: Dirty Talk kann aufregend sein. Sportler benutzen die starke Sprache auch, um sich selbst zu motivieren, um fokussierter zu handeln. In der Ausstellung sieht man z. B. Tommy Haas, der mitten aus einer Selbstbeschimpfung heraus diese Wut im Bauch umwendet in Selbstmotivation, und er gewann dann das Spiel. Kraftausdrücke können, das werden die Besucher meiner Veranstaltung merken, sehr unterhaltsam sein. Ganz viele Comedians heute, aber auch schon Karl Valentin, Goethe, Schiller und viele andere setzten es dafür ein. Fluchen kann als ein Erkennungszeichen dienen, so im Gefängnis, wie ich aus meiner Erfahrung als Schreibgruppenleiter weiß, oder unter Soldaten. Man signalisiert damit auch Selbstbewusstsein und Stärke. Im Dialekt können Kraftausdrücke auch reine Freude ausdrücken: „Du damischer Hundskrippl, das ich dich hier treff!“

Und dann kommen wir zum Negativen. Also in der Politik oder in anderen Bereichen der öffentlichen Meinung, da sind dann die Trolle, die Trollfabriken, mit denen man versucht, jemanden herunterzuziehen, jemand zu beleidigen, zu zerstören. Da sind wir dann bei der Hassrede.

Wo hört für Sie Fluchen auf und wo beginnen Beleidigungen?

Also letztlich ist das eine juristische Frage und die kann ich als Nicht-Jurist nicht so gut beantworten. Die Wörter alleine sind es jedenfalls nicht, es ist der Ton, die Situation und die soziale Abstufung, in der ich gewisse Worte äußere. Deswegen entscheidet zum einen das Gericht und andererseits die menschliche Klugheit oder „Herzensklugheit“, wie ich oft sage.

Haben bzw. wie haben das Internet und die sozialen Medien das Fluchen verändert?

Die Intensität des Fluchens und Schimpfens hat sich meinem Erachten nach nicht verändert, aber die leichte Verbreitungsmöglichkeit, und das ist das Gefährliche und Problematische. Indem ich als Schüler einen Lehrer oder eine Lehrerin verunglimpfen kann und zwar auf einem Medium, das potenziell Millionen erreichen kann. Und wenn eine Beleidigung über die sozialen Medien in die Welt hinausgegangen ist, ist das nicht mehr einzufangen.

Man verliert also ein wenig die Kontrolle, wenn man so etwas ins Internet setzt ...

Ja, wobei das im Gespräch schon ähnlich ist: Worte sind wie Pfeile, und der Pfeil einmal abgeschossen, ist nicht mehr zurückzuholen.

Was ist ihr (bairischer) Lieblingsfluch und warum?

Meine Schwiegermutter, die in der Nähe von München aufgewachsen ist, stöhnte manchmal: „Vo dene kannst oan midm andern daschlogn“. Wobei die Übersetzung bedeutet: „Von denen könntest du einen mit dem anderen erschlagen“.

Darf sich das Publikum der Pfaffenhofener Lesebühne auf etwas besonders freuen?

Ja, auf jeden Fall, es wird mindestens eine Überraschung geben. Da wird das Publikum sehr miteinbezogen und darf dann auch aktiv werden, aber ich will nicht verraten, wie.

Das Interview führte die Stadtverwaltung Pfaffenhofen a. d. Ilm.

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